Seit dem 1. Juli sollen Ärzte den Krankenkassen Mitteilung machen, wenn ein Piercing, eine Tätowierung oder eine Schönheitsoperation, die nicht medizinisch notwendig ist, zu gesundheitlichen Problemen führen. Die Krankenkassen haben nämlich vor, die betroffenen Patienten an den Kosten für die Behandlung der Folgen solcher Eingriffe zu beteiligen. Das setzt voraus, dass die Ärzte bereit sind, ihre Schweigepflicht zu brechen.
Es geht um den Paragraphen 294, Absatz 2, des fünften Sozialgesetzbuches. Seit am 1. Juli das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz in Kraft getreten ist, sind die Ärzte dazu verpflichtet, den Kassen Patienten zu melden, die sich vorsätzlich gesundheitlichen Schaden zugefügt haben.
Dass die Kassen versuchen, Geld zu sparen und unnötige Ausgabe zu vermeiden, ist eigentlich im Sinn der Beitragszahler. Schließlich zahlen sie für gestiegene Gesundheitskosten durch höhere Krankenkassenbeiträge. Allerdings sind die Kosten, die infolge von Entzündungen und anderen Komplikationen durch eine Tätowierung oder ein Piercing entstehen, vergleichsweise gering. Auch Schönheitsoperationen wie Brustvergrößerungen oder
Facelifting sind längst Routineeingriffe, die in den allermeisten Fällen problemlos ablaufen.
Warum sich die Krankenkassen gerade diesen Personenkreis ausgesucht hat, um eventuell entstehende Kosten auf die Betroffenen abzuwälzen, ist nicht ganz nachvollziehbar. Ein viel größeres Problem stellt zum Beispiel der Missbrauch von Alkohol, Tabak und Drogen dar. Und nicht vergessen sollte man auch die enormen gesundheitlichen Probleme, die mit Übergewicht einhergehen. Wie groß die Gesundheitskosten für die Behandlung von Bluthochdruck, Gelenkbeschwerden, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind, sieht man daran, dass die Bundesregierung gerade vor ein paar Wochen wieder einen Anlauf unternommen hat, das Problem des Übergewichts in den Griff zu bekommen durch einen neuen Aktionsplan, der für mehr Aufklärung über gesunde Ernährung in der Bevölkerung sorgen soll.
Es steht zu befürchten, dass die Krankenkassen im Laufe der Zeit auch Alkoholiker, Übergewichtige, Drogenabhängige und Raucher, aber auch Sportler, die so gefährliche Sportarten wie Skispringen ausüben, mit in ihre Zielgruppe aufnehmen. Damit aber wären praktisch alle Bürger von diesem Petz-Paragraphen betroffen.
Wer geht noch frühzeitig mit Erkrankungen zum Arzt, wenn er befürchten muss, dass der ihn bei seiner Kasse anschwärzt? Die ärztliche Schweigepflicht ist ein hohes Gut, und das schon seit 2000 Jahren. Für ein paar Euro Kostenersparnis sollte man sie wirklich nicht opfern. Die Folge wäre, dass die Leute sich auch mit ernsthaften gesundheitlichen Problemen nicht mehr zu ihrem Arzt trauen, und sich lieber von irgendwelchen Kurpfuschern behandeln lassen. Was das für die Gesundheit der Bevölkerung bedeuten würde, lässt sich leicht ausmalen.
Was die Krankenkassen auch bedenken sollten, ist, dass es in der Praxis überhaupt nicht möglich ist, genau zu bestimmen, wer vorsätzlich gegen seine Gesundheit handelt und wer nicht. Wenn ein Jugendlicher sich von einem Experten eine Tätowierung machen lässt, geht er ja nicht davon aus, dass seine Gesundheit darunter leidet. Er findet es einfach nur cool. Vorsatz wäre es, wenn er sich von zwielichtigen Gestalten tätowieren ließe, bei denen klar ist, dass sie von Hygiene und sterilen Instrumenten noch nie etwas gehört haben.
So wehren sich auch nicht nur die Patienten und Ärzte, sondern auch die Datenschützer gegen dieses unselige Gesetz. Die Bürger sind schon gläsern genug. Sollen jetzt aus Kostengründen auch noch die letzten Schutzräume abgeschafft werden?