Die Progenie ist ein Fehlbiss, dessen Merkmal eine Verlagerung der Kiefer zueinander ist. Deutlich sichtbar wird das Überschieben der unteren Schneidezähne vor die oberen Schneidezähne (sogenannter Mesialbiss). Charakteristisch ist ein hervorstehendes Kinn. Bleibt eine Progenie unbehandelt, wird nach dem Abschluss der Wachstumsphase eine operative Behandlung nötig. Allerdings kann in der Frühbehandlung seitens der Kieferorthopädie auch auf nicht-operative Maßnahmen gesetzt werden.
Als Progenie wird eine Fehlstellung (Dysgnathie) bezeichnet, welche sich durch einen sogenannten umgekehrten Überbiss zeigt. In der Zahnheilkunde werden heute zwei Formen unterschieden, die sich in ihrer Entstehung voneinander abheben.
Diese Variante ist auch als echte Progenie bekannt. Während sich der Oberkiefer anatomisch normal ausbildet, wird der Unterkiefer überentwickelt. Die mandibuläre Prognathie wird durch erbliche Faktoren begünstigt und im dominanten Erbgang weitergegeben. Neben der positiven Lippentreppe (groß erscheinenden Unterlippe) entstehen – durch den Platz im Unterkiefer – Lücken in der unteren Zahnreihe. Parallel besteht die Gefahr, dass die obere Zahnreihe eingeengt wird und nach innen kippt. Die nichtoperative Behandlung des zu weit nach vorne ragenden Unterkiefers erfolgt durch Maßnahmen, die dem Kieferwachstum entgegenwirken.
Auch als unechte Progenie bekannt, handelt es sich bei diesem Befund um eine Kombination aus normal entwickeltem Unterkiefer und einem unterentwickelten Oberkiefer. Als Ursache kommen verschiedene Faktoren in Frage. So kann die maxilläre Prognathie durch einen frühen Zahnverlust (krankhaft oder Unfallfolge), nicht angelegte Zähne im Oberkiefer sowie eine Gaumenspalte entstehen. Der unterentwickelte Oberkiefer als Grund für die unechte Progenie wird mithilfe von Maßnahmen behandelt, die das Wachstum und die Entwicklung des Oberkiefers fördern.
Den ersten Verdacht hinsichtlich einer mandibulären Prognathie oder maxillären Retrognathie wird der behandelnde Zahnarzt stellen. Dieser verweist den Patienten an Spezialisten aus dem Bereich der dento-maxillären Orthopädie (Kieferregulierung). Im Rahmen der Anamnese (Patientengespräch) und ersten Untersuchung wird klar, welche Form der Progenie vorliegt und wie ausgeprägt der Befund bereits ist.
Für die weitere Behandlung ist von entscheidender Bedeutung, dass die Diagnose gründlich und umfassend durchgeführt wird. Je früher der Befund festgestellt werden kann und die Behandlung beginnt, um so besser stehen die Chancen, ohne operative Behandlung einen entsprechenden Therapieerfolg zu erreichen.
Anhand des Befundes wird entschieden, ob der betroffene Kiefer in seiner Entwicklung gefördert werden muss (Oberkiefer bei maxillärer Retrognathie) oder das Ziel eher in einer Kompensation durch Hemmung des Kieferwachstums (Unterkiefer bei mandibulärer Prognathie, also echter Progenie) liegt. Entsprechend unterscheiden sich die eingesetzten Hilfs- und Therapiemittel.
Sofern bei Patienten eine maxilläre Retrognathie diagnostiziert wird, muss das Wachstum und die Entwicklung des Oberkiefers gefördert werden. Hierzu kann der behandelnde Kieferorthopäde bei den nicht-operativen Maßnahmen zum Beispiel auf eine Delaire-Maske setzen. Diese Maske hat das Ziel, den Oberkiefer vor den Unterkiefer zu bewegen. Sie setzt an Stirn und Kinn an und zieht mit einer Vorrichtung den Oberkiefer nach vorn. Die Maske ist sehr erfolgversprechend, allerdings oft unangenehm für den Betroffenen. Bevor die Delaire-Maske zum Einsatz kommt, wird oft für einige Zeit eine Gaumennaht-Erweiterungsapparatur angewendet, welche den Oberkiefer verbreitert.
Alternativ kann für die Anregung des Längenwachstums der Knochen im Oberkiefer auch der Funktionsregler nach Fränkel (Typ 3) eingesetzt werden. Dieser Funktionsregler übt eine Spannung auf das Gewebe aus, damit die Knochen anwachsen und der Oberkiefer größer wird.
Mithilfe von Zahnspangen kann die Entwicklung des Unterkiefers beeinflusst werden und die Zähne im Unterkiefer können nach hinten verlagert werden. Solche Zahnspangen können herausnehmbar oder festsitzend sein. Der Einsatz von anderen Apparaturen wie der Kopf-Kinn-Kappe kann ebenfalls sinnvoll sein. Die Kopf-Kinn-Kappe ist eine Art Maske, die am Hinterkopf und am Kinn angelegt wird und den Unterkiefer nach hinten zieht.
Sogenannte Rückschubdoppelplatten (Sander-III-Apparatur) werden beispielsweise im frühen Zahnwechsel eingesetzt. Diese sind Vorrichtungen, die an den Zähnen des Unterkiefers befestigt werden und je nach dem Behandlungsfortschritt verstellt werden können. Im Rahmen der Kieferkompensation besteht eine besondere Herausforderung darin, dass ein Zurückschieben des Kiefers deutlich schwieriger zu bewerkstelligen ist als ein Vorschieben.
In der Zahnheilkunde stehen heute verschiedene Behandlungsmöglichkeiten für die Progenie zur Verfügung. Trotzdem bleibt dieser Befund – aufgrund des komplexen Auftretens – immer noch eine Herausforderung. Eine Progenie beeinflusst nicht nur die vorderen Zähne, sondern macht sich über das gesamte Gebiss bemerkbar. Es kommt zu Fehlstellungen auch der Backenzähne. Letztlich entstehen Fehlbelastungen, was zu einer vorzeitigen Abnutzung der Zahnsubstanz führen kann. Darüber hinaus bedeutet die Progenie Schmerzen im Bereich der Kiefergelenke, es kann zu Kopfschmerzen oder Behinderungen der Nasenatmung kommen. Ebenfalls eingeschränkt wird – bei entsprechender Schwere – die Kaufunktion oder auch das Sprechen. Um solche Folgen zu verhindern, ist eine frühzeitige Behandlung notwendig.
Sofern sich mit den nicht-operativen Maßnahmen kein gewünschter Therapieerfolg einstellt, bleiben noch kieferchirurgische Maßnahmen. Der Eingriff wird in der Regel in eine kieferorthopädische Vorbehandlung und eine kieferorthopädische Nachbehandlung eingefasst. Damit erstreckt sich auch diese Behandlung meist auf zwei bis zweieinhalb Jahre.
aktualisiert am 23.08.2019